Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) hat seine Prognose zur diesjährigen Getreideernte jetzt wieder etwas heraufgesetzt. In seiner letzte Woche vorgelegten vierten Ernteschätzung beziffert der DRV das bundesdeutsche Getreideaufkommen auf gut 43,2 Mio. t, verglichen mit 42,9 Mio. t Mitte Mai. Im April hatte der Verband allerdings noch 43,6 Mio. t Getreide vorausgesagt. Gemäß der jetzigen Schätzung würde das Vorjahresergebnis um 1,1 Mio. t oder 2,5 % übertroffen.
Dagegen haben sich die Aussichten für die deutsche Winterrapsernte offensichtlich weiter verschlechtert, wenn auch nur marginal: Der Raiffeisenverband geht hier jetzt von etwas weniger als 3,8 Mio. t aus, während im Mai noch mit gut 3,8 Mio. t und im April mit 3,9 Mio. t gerechnet worden war. 2021 waren allerdings nur knapp 3,5 Mio. t der schwarzen Ölfrucht gedroschen worden.
Für die wichtigste Kultur, den Weizen, prognostiziert der DRV aktuell eine Erntemenge von 22,65 Mio. t; das sind 265 000 t mehr als im Mai erwartet worden waren. Zudem wären es fast 1,3 Mio. t mehr als im Vorjahr eingebracht wurden. „Nach unserer Einschätzung kann die deutsche Getreidewirtschaft dem Weltmarkt im kommenden Jahr mehr Brotweizen zur Verfügung stellen“, stellte DRV-Marktexperte Guido Seedler dazu fest.
Der genossenschaftliche Getreidehandel erwartet laut dem Fachmann „mit Spannung“ den Beginn der diesjährigen Ernte, mit dem in den Frühdruschgebieten bei der Wintergerste in einigen Tagen gerechnet wird. Für diese Kultur kalkuliert der DRV eine Produktionsmenge von 8,6 Mio. t. „Dies ist weniger als im Vorjahr und auf eine leicht gesunkene Anbaufläche zurückzuführen“, erklärte Seedler. Im Vorjahr waren knapp 8,9 Mio. t Wintergerste von den Feldern geholt worden.
Mit Blick auf die globale Versorgungslage stellte der DRV-Marktexperte fest, dass die Gefahr von Engpässen beim Getreide weiter zunehmen dürfte. Seedler mahnte deshalb eine Stärkung der alternativen Exportmöglichkeiten und -routen aus der Ukraine an. Dafür müssten Zollformalitäten und Kontrollen an der polnisch-ukrainischen Grenze abgebaut werden. Garantien Russlands für sichere Transportrouten durch das Schwarze Meer halte der DRV für unglaubwürdig, so Seedler.
Weiterhin müsse die Logistik auch innerhalb Europas angepasst werden, damit die Ware zu den Verarbeitern und Seehäfen gelangen könne. Hier müssten „dringend alle Reserven mobilisiert werden“, betonte der Fachmann. Knapp versorgte Märkte seien auf eine schlagkräftige Logistik angewiesen, damit Mengen dorthin gelangten, wo sie gebraucht würden.
Mit Sorge beobachtet der Raiffeisenverband laut Seedler auch die nationale Logistik. Zu befürchten sei, dass es in Deutschland durch fehlende Lkw und Fahrer zu Verzögerungen beim Transport der Ernte zu den verarbeitenden Betrieben und den Exporthäfen kommen werde. Für Erleichterungen würden die Aufhebung des Sonntagfahrverbots und die Einführung eines maximalen Lkw-Gewichts von 44 t sorgen.