Konzeptvergleich Rad oder Raupe: Jenseits von Mythos und Marketing

Wie beurteilen Wissenschaftler die Fahrwerkskonzepte für Landmaschinen? Der eilbote-Fachautor, Dipl.-Journalist Wolfgang Rudolph, hat bei Experten nachgefragt und die Ergebnisse in nachfolgender Übersicht zusammengefasst.

Befragung: Konzeptvergleich Rad oder Raupe: Jenseits von Mythos und Marketing

Ein Kennzeichen kraftschlüssiger Raupenlaufwerke ist die waagerechte Anordnung aller Lauf- und Stützrollen.

Befragung: Konzeptvergleich Rad oder Raupe: Jenseits von Mythos und Marketing

Bei normalem Zugkraftbedarf und festem Untergrund sind Räder schon wegen des besseren Innenwirkungsgrades wohl noch für lange Zeit die praktikabelste Lösung.

Bei der Bewertung selbstfahrender Arbeitsmaschinen im Pflanzenbau geht es um Leistung, Spritverbrauch und Traktion. Mit zunehmenden Maschinengewichten gewinnt aber auch der Faktor Bodenschonung an Bedeutung. Eine Schlüsselrolle spielt hier das Fahrwerkskonzept. Die Diskussion reduziert sich dabei nicht selten auf die Frage: Rad oder Raupe?

Praktiker beantworten diese aus der Perspektive ihrer konkreten Anbaubedingungen. Die Marketer bei den Landmaschinenherstellern haben wirtschaftliche Interessen im Blick. In der öffentlichen Wahrnehmung ist daher ein Trend pro Raupe nicht verwunderlich. Schließlich setzen Landwirte diesen Fahrwerkstyp zuallererst dort ein, wo Gleisbänder ihre Stärken voll zur Geltung bringen können - etwa beim Ziehen von Geräten mit großen Arbeitsbreiten oder auf weichen Böden.

Doch bieten Gummiraupen wirklich die universelle Lösung in Sachen Effizienz und Bodenschonung? Ist das Rad vielleicht doch besser als sein Ruf? Wo liegen die Entwicklungspotenziale? Wir befragten dazu Wissenschaftler, von denen man trotz Forschungskooperationen mit der Landtechnikindustrie Neutralität erwarten kann.

Nachfolgend die Ergebnisse der Gespräche mit:

Prof. Dr. Ludger Frerichs, Technische Universität Braunschweig, Leiter des Instituts für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge;

Prof. Dr.-Ing. habil. Thomas Herlitzius, Technische Universität Dresden, Lehrstuhlleiter der Professur für Agrarsystemtechnik;

Prof. Dr.-Ing. Hubert Korte, Hochschule Osnabrück, Leitung Fachbereich Landtechnik/Verfahrensketten AuL;

Dr. Thomas Anken, Agroscope Tänikon, Ettenhausen, Gruppenleiter im Schweizerischen Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

Dipl. Ing. FH Roger Stirnimann, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL Zollikofen, Dozent

Prof. Dr. agr. Thomas Rademacher, Technische Hochschule Bingen, Professor für Landtechnik.

Das sind die Vor- und Nachteile von Rädern

VORTEILE

■ Universell einsetzbar auf Acker, Feldweg und Straße.

■ Beeinflussbarkeit der Aufstandsfläche durch Regelung des Reifendrucks in Kombination mit hochbelastbaren Reifen. Moderne, wenig seitensteife Reifen ermöglichen eine Absenkung des Innendrucks bei IF-Reifen (Improved/Increased-Flexion-Reifen) von 20 % und bei VF-Reifen (Very-High-Flexion-Reifen) von 40 % ohne Verlust an Tragfähigkeit. Bei einem Mehrachslaufwerk kommt man mit dem so erzielbaren Latsch in die Nähe des Bodendrucks von Bandlaufwerken bei geringeren Kosten. Aber Achtung: Auch beim Latsch verteilt sich der Bodendruck nicht gleichmäßig über die vergrößerte Kontaktfläche. Lastspitzen entstehen an den äußeren Wülsten. Neben dem Kontaktflächendruck gilt es zudem die Tiefenwirkung zu beachten. So verdoppelt sich durch Zwillingsreifen zwar die Aufstandsfläche. Dennoch hinterlässt die Ausnutzung der dadurch möglichen höheren Achslasten anhaltende Bodenverdichtungen in tieferen Schichten.

■ Selbstreinigungseffekt durch Walkung.

NACHTEILE

■ Gefahr von Bodenverdichtungen auf Ackerflächen mit der Folge von Ertragseinbußen und Mehraufwand für die Bodenbearbeitung.

■ Technisch, ökonomisch und rechtlich (StVZO) ist im Gegensatz zu Bändern kaum noch eine Vergrößerung der Aufstandsfläche (Latsch) von Rädern möglich (ergibt sich aus Raddurchmesser und Reifenbreite). Die Ausstattung mit Bandfahrwerken beginnt daher bei Zugtraktoren ab 350 bis 400 kW.

■ Reifendruckregelanlagen werden trotz Programmierbarkeit als Zeitfresser empfunden und erfordern bei häufigem Wechsel zwischen Acker und Straße Disziplin vom Bediener und Kenntnis der Reifenkennlinie (Belastbarkeit), damit das Potenzial (größtmöglicher Latsch) ausgenutzt werden kann, ohne dass der Reifen überfordert wird oder auf der Felge rutscht. (Ansatzpunkt für Assistenzsysteme).

■ Bei Mähdreschern bedecken große Räder viel Seitenfläche. Das erschwert den Zugang zu Kontrollöffnungen der Aggregate.

Entwicklungspotenzial von Rädern

■ Kombination mit elektrischen Antriebskonzepten (Einzelrad oder Achse)

■ Mehrachslaufwerke (Grenze der Vergrößerung von Kontaktflächen ließe sich so mit vorhandenen Reifentechnologien hinausschieben.)

Kompromisslösungen zwischen Rad und Raupe

■ PneuTrac-Konzept von Trelleborg für den Einsatz an steilen Hängen bzw. auf sehr weichem Untergrund (Hybridlösung zwischen landwirtschaftlichem Radialreifen und Raupenkette)

■ Anbau von gesondert transportierten Zwillingsrädern auf dem Acker (arbeits- und zeitaufwändig, da keine Montagehilfen verfügbar). Eine auf der Agritechnica 2015 vorgestellte Lösung mit ausschwenkbarem Kranarm des niederländischen Herstellers Peecon wurde offensichtlich nicht weiterentwickelt. Die Firma B.S.R. Bavaria Spezial Rad GmbH bietet ein System zur Montage von Zwillingsrädern an Forstfahrzeugen (Twin-Tyre-System)

■ Aufziehen von Bändern auf Tandemfahrwerke von Anhängern bei der Feldarbeit (wenig praktikabel)

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Bei weichen Bodenverhältnissen können Räder mit ihrem starken Selbstreinigungseffekt durch die Walkung der Reifen punkten.

Das sind die Vor- und Nachteile von Bandlaufwerken

VORTEILE

■ Bodenschonung insbesondere bei schweren Maschinen auf empfindlichen Böden. Voraussetzungen: hohe Bandspannung (tragender Effekt des Bandes zwischen den Stützrollen) und viele Laufrollen für die Druckverteilung. (Druck verteilt sich nicht gleichmäßig über die Aufstandsfläche des Bandes. Unter den Laufrollen entstehen Lastspitzen.) Aber: Jede zusätzliche Rolle mindert den Innenwirkungsgrad und erhöht die Kosten.

■ Bessere Traktion durch Verzahnung mit dem Boden (Formschluss).

Das ermöglicht bei gleichem Kontaktflächendruck höhere Zugkraft und damit Flächenleistung. Dieser Effekt lässt nach, wenn sich wegen der schlechteren Selbstreinigung der Bänder bei bestimmten Bodenverhältnissen die Stollenzwischenräume zusetzen (Flotation). Je länger das Band, desto größer die mögliche Einbuße an Formschluss. Andererseits verbessert sich durch das Ausfüllen der Stollenzwischenräume die Druckverteilung. Aber: Gefahr des Traktionsverlustes durch den „Triebkraftbeiwert“ (siehe bei Nachteile).

■ Längere Befahrbarkeit der Böden. Dadurch Vergrößerung des Zeitfensters für Feldarbeiten.

■ Zusätzlicher Vorteil beim Controlled Traffic Farming durch schmalere und bei Nässe weniger ausgeprägte Spuren.

■ Vergrößerung der Aufstandsfläche ohne Überschreitung der bei Straßenfahrten gesetzlich vorgeschriebenen maximalen Fahrzeugbreite und das sonst notwendige Einholen von Sondergenehmigungen (insbesondere beim Umsetzen von Großmähdreschern).

■ Kein Schwanken des Mähdreschers mit zunehmender Bunkerfüllung wie auf Breitreifen mit niedrigem Luftdruck (sauberes Schnittbild auch bei großen Schneidwerksbreiten).

■ Forstarbeiten mit Harvestern an Steilhängen sind möglich.

NACHTEILE

■ Geringerer Innenwirkungsgrad durch den im Vergleich zu Radlaufwerken 4 bis 6 mal höheren und unabhängig vom Untergrund wirkenden Rollwiderstand.

Jedoch: Überkompensation bei richtigem Einsatz durch besseren Wirkungsgrad der Kraftübertragung auf den Boden (Vermeidung von Schlupf).

■ Schäden durch Querschlupf (Abscherung) bei Kurvenfahrten und im Vorgewende insbesondere auf Grünland. Dem kann durch Teilraupenfahrzeuge mit angetriebener Vorder- bzw. Hinterradachse und teilweisem Anheben oder Neigen des Raupenbandes entgegengewirkt werden. Gegenüber einer Vollraupe verringert dies aber die Aufstandsfläche.

■ Schwacher Seitenhalt bei Arbeiten quer zum Hang.

■ Traktionsvorteil wirkt nur bei geringer Geschwindigkeit. Besonderheit: Traktion reißt bei zu hoher Arbeitsgeschwindigkeit schlagartig ab (volle Zugkraft oder keine).

■ Gefahr des Traktionsverlustes durch den „Triebkraftbeiwert“. Reicht bei einer Bodenoberfläche mit z. B. aufliegendem Zuckerrübenblatt oder einer zuvor ausgebrachten Mistschicht der Kontaktflächendruck der Raupe nicht aus, um sich mit dem festeren Unterboden zu verzahnen, entsteht kein Formschluss mit dem Boden. In diesem Falle ist die Zugkraft eines Raupentraktors geringer als die eines vergleichbaren Radtraktors.

■ Gefahr der Verletzung von Wurzeln bei Harvestern im Forsteinsatz.

■ Höheres Eigengewicht des Fahrwerks (erspart andererseits ggf. Ballastierung, um dem Aufbäumeffekt entgegenzuwirken).

■ Mehrkosten für Anschaffung und Wartung (Faktor 2 bis 3 gegenüber Radlaufwerken). Diesen sind Kostenverringerungen durch weniger Bodenbearbeitung für die Beseitigung von Verdichtungen entgegen zu stellen. Eine schnelle Amortisation erfordert jedoch hohe Auslastung mit schwerer Zugarbeit und Eingliederung in die Betriebsorganisation.

■ Nur bedingt geeignet für Pflegearbeiten (Ausnahme: schmale Bänder, die zwischen den Reihen laufen).

■ Starker Verschleiß der Bänder auf befestigtem Untergrund (insbesondere bei Straßenfahrten).

Entwicklungspotenzial von Bandlaufwerken

■ Reduzierung der Herstellungskosten z. B. durch Baugruppenfertigung

■ Verbesserung des Innenwirkungsgrades durch Senkung des Rollwiderstandes

■ Kombination mit innovativen Antriebslösungen

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Je höher Triangel-Raupenlaufwerke aufgehängt sind, desto stärker wirkt der Aufbäumeffekt mit Lastspitzen auf der hinteren Rolle.

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Das Terra Trac Laufwerk des Claas Häckslers schont durch seine Kinematik die Grasnarbe.

Das raten die Experten

■ Ausschlaggebend für Entscheidungen zum Fahrwerk sind die örtlichen Bedingungen (Maschinenpark, Bodenverhältnisse, Schlaggrößen und -umrisse, Anzahl der Straßenfahrten, Niederschlagsverteilung u. a.) sowie die Arbeitsziele (Anbauverfahren, Fruchtfolge, Zugkraftbedarf u. a.).

■ Dienstleister sollten langfristige Kundenbeziehungen berücksichtigen. So spielt für Landwirte, denen in einem nassen Herbst dank Maschinen mit Raupenlaufwerken die Maisernte gerettet wurde, die Flächenleistung eine untergeordnete Rolle, fördert aber die Kundenbindung (Mähdrescher werden oft sowohl im Getreide als auch in der Maisernte eingesetzt. Ein Maispflückervorsatz ist schwerer als ein Getreideschneidwerk).

■ Wer hohe Druschleistung anstrebt, jedoch bei der Anschaffung eines Mähdreschers die Mehrkosten für Bandlaufwerke in Höhe von ca. 50.000 Euro scheut, kann sich für einen Einstieg in die Rotorklasse in Kombination mit schmalerer Chassisebreite (5-Schüttler) entscheiden. So bleibt noch Platz für breitere Reifen. Maximale Druschleistung erfordert jedoch auch bei Rotormähdreschern ein entsprechend breites Chassise (6-Schüttler-Klasse). Ein Raupenlaufwerk ist dann schon wegen der Fahrzeugbreite unabdingbar.

■ Kraftschlüssige Raupenlaufwerke (waagerechte Anordnung aller Lauf- und Stützrollen) haben insbesondere in Kombination mit Federung einen höheren Fahrkomfort als formschlüssige Triangel-Raupenlaufwerke (Anordnung der Lauf-, Antriebs- und Stützrollen in einer Dreieckskonstruktion).

■ Bei Triangel-Raupenlaufwerken beeinflusst die Aufhängung (Drehpunkt, um den sich das Laufwerk bewegt, um Unebenheiten in Fahrtrichtung auszugleichen) die Druckverteilung auf den Boden. Am günstigsten ist eine tiefliegende symmetrische Aufhängung. Je höher der Drehpunkt, desto stärker wirkt der Aufbäumeffekt mit Lastspitzen auf der hinteren Rolle. Alternative: asymmetrische Aufhängung in Kombination mit in Fahrtrichtung verschobener oberer Laufrolle oder Verlagerung des Drehpunktes nach unten, mittig zwischen Radnabe und Bodenoberfläche (dann gleichmäßige Druckverteilung beim Ziehen).

So wollen Wissenschaftler die Fahrwerke verbessern

FORSCHUNGSZIELE

■ Minimierung der Bodenverdichtung

■ Verlängerung der Befahrbarkeit des Ackers, ohne Bodenschäden zu verursachen

■ effiziente Kraftübertragung auf den Boden (Traktionsoptimierung)

FORSCHUNGSPROJEKTE (AUSWAHL)

■ Assistenzsysteme für Traktoren zur Traktionsoptimierung durch Änderung des Reifenluftdrucks, der Allradzuschaltung u. ä. bei unterschiedlicher dynamischer Beanspruchung der Räder z. B. innerhalb und außerhalb der Furche, durch Aufbäummoment beim Beschleunigen, Seitenhang oder bei Lastübertragung auf die Traktorachse mittels Zugkraftverstärker (TU Braunschweig, TU Dresden).

■ Online-Sensoren zur Messung dynamischer Kräfte an der Traktorachse (TU Braunschweig) bzw. an der Felge (TU Dresden) als Datengeber für Assistenzsysteme. Dynamische Radlasten schwanken um bis zu 30 %. Ein Lastsensor böte die Möglichkeit, in Echtzeit zwischen Produktivität und Bodenverdichtung abzuwägen.

■ Untersuchungen zur Interaktion zwischen Boden und Maschinen, z. B. tatsächliche Aufstandsfläche verschiedener Reifentypen in Abhängigkeit von Luftdruck und Radmaßen (TU Dresden).

■ Antriebsachsen für Anhänger mit Rädern (TU Braunschweig/elektrisch, TU Dresden/hydraulisch) bzw. elektrisch/hydrostatische Antriebe für Bänder (HS Osnabrück, „smart traction“). Dadurch benötigt der Traktor weniger Zugkraft und muss nicht zusätzlich ballastiert werden.

■ Erweiterung der Simulationsmodelle (z. B. www.terranimo.world/CH/) für die Berechnung des Bodenverdichtungsrisikos beim Einsatz von landwirtschaftlichen Fahrzeugen (HAFL Zollikofen) bzw. der Ertragsdepression durch Kontaktflächendruck in Korrelation zu Bodentyp und Bodenfeuchte (TU Dresden/Datenbank Dr. Hartmut Döll).

■ Untersuchung der Auswirkungen von Mehrfachüberfahrten auf die Bodenverdichtung (HAFL Zollikofen).

■ Verbindung von Bodenbearbeitung mit Traktionsarbeit durch die Nutzung rotierender Werkzeuge (Walzen, Fräsen, Scheiben) für den Antrieb von kleineren Robotermodulen auf dem Acker (TU Dresden, Projekt Feldschwarm).

■ Beratungsplattform zur Optimierung von Bearbeitungszeiten und Befahrung verschiedener Böden in Abhängigkeit verschiedenster Rahmenbedingungen im Projekt Experimentierfeld Südwest
(TH Bingen).

Befragung: Konzeptvergleich Rad oder Raupe: Jenseits von Mythos und Marketing

Der PneuTrac von Trelleborg kann auf handelsübliche Felgen montiert werden. Zur Montage ist keine für den PneuTrac spezielle Maschine erforderlich, aber eine Portion Erfahrung.

Befragung: Konzeptvergleich Rad oder Raupe: Jenseits von Mythos und Marketing

Die Dämpfungseigenschaften des PneuTracs sind sehr hoch, wie der Fahrversuch zeigt.


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