Touchscreen – Fluch oder Segen?

Der Touchscreen übernimmt auch in der Landtechnik und artverwandten Branchen wie im Bereich Kommunal- und Baumaschinen immer mehr Funktionen. Das medial viel beachtete Tesla-Urteil vom Sommer dieses Jahres könnte nun für etwas Dämpfung bei den Touch-Enthusiasten in den Entwicklungsabteilungen sorgen.

Bedienung: Touchscreen – Fluch oder Segen?

In modernen Schleppern – hier der aktuelle Fendt 300 Vario – geht ohne Touchdisplay nichts mehr. Haptische Elemente sind jedoch meist ebenfalls in großer Zahl vorhanden.

Bedienung: Touchscreen – Fluch oder Segen?

Das Flexscape-Display von Rafi verbindet Touchscreen und haptische Bedienung.

Wir haben uns daher mit einem Experten für Bedienelemente unterhalten und nachgefragt, wie sich das Tesla-Urteil (Details siehe Kasten) und die vermehrte Touch-Bedienung allgemein auf künftige Maschinen auswirken wird. Die Firma elobau aus dem Allgäu hat sich auf die Herstellung diverser Bedienelemente spezialisiert, vom einfachen Taster über Multifunktionsjoysticks bis hin zu komplett modular aufgebauten Armlehnen. Timo Schempp ist dort in der Vorentwicklung tätig.

„Die immer stärkere Verbreitung von Touchdisplays ist vor allem in deren Flexibilität begründet: Man kann darauf sehr einfach jegliche Funktion hinterlegen und das auch nachträglich vergleichsweise einfach anpassen oder ändern. Zum Beispiel die Form, Beschriftung oder Position eines Buttons auf dem Display. Mit einer festen Taste geht das nicht. Und natürlich ist es günstiger für die Hersteller: Es muss nur ein Bauteil im Fahrzeug installiert werden, der Rest besteht aus einer Software, über die beliebig viele Funktionen etabliert werden können. Bei einer Armlehne dagegen kostet jedes zusätzliche haptische Bedienelement“, erklärt der Maschinenbau-Ingenieur. Außerdem können über spätere Updates auf Touchdisplays sehr einfach auch komplett neue Funktionen eingefügt oder die Anordnung der digitalen Buttons optimiert werden. Sogar dem Nutzer selbst könnte man gestatten, sich seine Menüs und Ansichten so zusammenzustellen, wie er sie gerne hätte – bei einer Armlehne ist das schon schwieriger. Hier können zwar inzwischen ebenfalls Knöpfe individuell belegt werden, die Freiheit ist aber bei weitem nicht so groß wie beim Touchdisplay. Der Trend zu dieser Form der Bedienung sei für Schempp daher durchaus nachvollziehbar – auch weil es auf den ersten Blick wie die modernere Art der Bedienung wirke.

Es gibt dennoch ein „Aber“: Denn trotz der flexiblen Gestaltung und den wirtschaftlichen Vorteilen von Touchdisplays kann ein klassisches haptisches Bedienelement wie etwa ein geformter Taster, ein Drehrad oder ein Hebel einfach ergonomischer, intuitiver und sogar sicherer für den Nutzer sein. Das oben angeführte Tesla-Urteil belegt das, da der Unfall mit einer klassischen Scheibenwischer-Bedienung höchstwahrscheinlich vermeidbar gewesen wäre.

„Natürlich ist das Display aus einem modernen Traktor heute nicht mehr wegzudenken, allein schon zur Informationsdarstellung für Dinge wie ISOBUS-Geräte, Programmierung der Vorgewendeautomatik, Teilbreitenschaltung oder Spurführung mit Lenksystem. Die Frage ist allerdings, was ich zur Bedienung alles dorthin lege“, erklärt Schempp. Seiner Ansicht nach können viele Funktionen, die für das einmalige Einstellen des Traktors in einem Einsatzszenario nötig sind, auf das Display wandern. Dazu gehören etwa die Mengen- und Zeitsteuerung für Hydraulikventile oder ab welcher Unterlenker-Höhe die Zapfwellenautomatik greifen soll. Der operative Betrieb jedoch, also alles, was der Fahrer während der Arbeit auf dem Feld nachregeln können muss – wie etwa die Arbeitstiefe – und vor allem sämtliche Vorgewendefunktionen sollten Schempps Ansicht nach nur mit haptischen Elementen wie Knöpfen oder Drehschaltern bedient werden. Denn diese findet der Fahrer dann quasi blind und kann sie auch im wahrsten Sinne des Wortes blind „im Griff behalten“. Auch der Wechsel von einem Knopf zum nächsten erfolgt nach der ersten Eingewöhnung meist ohne nachzudenken. So kann der Blick auf den Pflug gerichtet bleiben, während die Hand oh- ne Blick auf das Bedienelement die Tiefe nachregelt. Zudem sind klassische Drehknöpfe feinfühliger einstellbar, als der digitale Schieber auf einem Touchdisplay: Gerade im nicht selten ruckeligen Feldalltag ist es mit einem Touch-Slider schwierig, den exakt nötigen Wert zu treffen. Daher sind bei nahezu allen Herstellern die Displays auch mit zusätzlichen Tasten und Drehrädern bedienbar. Was bei dieser Fragestellung auch nicht unterschätzt werden dürfe, sei der Direktzugriff auf Funktionen über haptische Bedienelemente, bei Displaylösungen müsse man sich nicht selten durch Untermenüs klicken, um eine gewünschte Funktion bedienen zu können – so etwas wäre zum Beispiel am Vorgewende nicht akzeptabel. „Grundsätzlich kann man sagen: Je seltener und weniger regelmäßig eine Einstellung gemacht werden muss, desto eher kann sie auf das Display übertragen werden. Je häufiger und regelmäßiger ich eine Funktion im Feld und während der Teilnahme am Straßenverkehr brauche, desto eher sollte sie von einem haptischen Element aus gesteuert werden können“, findet Schempp. Er sieht hier jedoch aktuell noch keine „Gefahr“, dass in der Landtechnik irgendwann die Steuerung ähnlich der im Tesla funktionieren wird: Grundsätzliche Dinge wie zum Beispiel Hubwerk, Handgas, Tempomat, Fahrtrichtungswechsel, Zapfwelle oder die Hydraulikventile werden weiterhin außerhalb des Terminals zu finden sein – etwas anderes würden die Fahrer auch gar nicht akzeptieren

Eine Kombination ist dabei ebenfalls möglich. Elobau-Marktbegleiter Rafi hat dafür in seinen Touchdisplays eine kreisförmige Vertiefung integriert, die den Finger wie bei einem haptischen Element blind führen kann. Außerdem ist in der Mitte ein fühlbarer Druckknopf verbaut. Die Technologie dahinter ist weiterhin touchbasiert, einige kennen das bereits von bestimmten Smartphones: Dort ist der Home-Button ebenfalls fühlbar, er reagiert sogar mit einem leichten Klick. Ist das Telefon ausgeschaltet, funktioniert er jedoch nicht. Da hier ebenfalls lediglich Touchtechnik eingesetzt wird, wird der fühlbare Klick im Hintergrund durch Vibration simuliert.

Ähnliche Technik könnte künftig auch die Bedienung von Touchdisplays in Fahrzeugen intuitiver machen, da so die erforderliche Stelle blind erfühlt und betätigt werden könnte. „Eine Rückmeldung könnte man so ebenfalls realisieren: Statt dem Anschlag eines Drehknopfes könnte die Stelle im Touch dann vibrieren und dem Fahrer blind signalisieren, dass er am maximalen Wert der Funktion angelangt ist“, so Schempp.

Als Fazit sieht Schempp bezüglich des Tesla-Urteils eine Bestätigung der von ihm und elobau geführten Strategie, die haptische Bedienelemente – mindestens im Off-Highway-Bereich – als essentiell ansieht. Die wenigsten Traktorfahrer würden zudem während der Straßenfahrt auf Funktionen im Terminal zugreifen müssen, weshalb das oben erwähnte Urteil bei den Land- und Baumaschinenherstellern wohl keine große Welle geschlagen hat. Dennoch gibt es dadurch aber entsprechende Impulse in den Entwicklungsabteilungen der OEM, da die Schwächen des Systems aufgezeigt und juristisch klar benannt wurden.

Der ungebremste Trend zum wirtschaftlich günstigen und flexiblen Touchdisplay wird wohl nicht sehr stark zurückgehen, es werden sich aber hoffentlich wesentlich mehr Gedanken darüber gemacht, wie die Touchtechnologie sinnvoll und sicher implementiert werden kann – und wo eben haptische Bedien-elemente nach wie vor viel besser geeignet sind.

Bedienung: Touchscreen – Fluch oder Segen?

Modulare Armlehne 225MA Midi der Firma elobau, Leutkirch.

Bedienung: Touchscreen – Fluch oder Segen?

Multiaxialer Joystick mit Multifunktions-griff, 1-Achsiger Robustjoystick, Fingertipjoystick, Lenkstockschalter und Zapfwellen-Schalter.

Hintergrund – Durch Touchdisplay abgelenkter Tesla-Fahrer verursacht Unfall und wird mit Fahrverbot bestraft

Ein Tesla-Fahrer wollte während Starkregens die Geschwindigkeit seines Scheibenwischers verstellen. Das geht in diesem Fahrzeug aber nicht mehr über einen klassischen Hebel am Lenkrad, sondern über ein Untermenü auf dem zentralen Touchdisplay in der mittigen Fahrzeugkonsole. Da er seinen Blick dorthin lenken musste, kam er von der Straße ab und kollidierte mit einigen Bäumen. Der Fahrer wurde zu 200 Euro Geldbuße und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt, da man das Touchdisplay mit einem Smartphone gleichsetzte: Das Gesetz untersagt jegliche Bedienung von elektronischen Geräten während der Fahrt, wozu das Gericht auch das festverbaute Touchdisplay des Teslas zählte. Die zweite Instanz in Form des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat das Urteil bestätigt (Az. 1 Rb 36 Ss 832/19): Auch für die Fahrsicherheit notwendige Funktionen dürften demnach über solche Bedienelemente nur dann gesteuert werden, wenn es den Fahrer nicht zu sehr ablenke – was hier aber offensichtlich der Fall war. Dem Fahrer wäre also nichts anderes übriggeblieben, als anzuhalten, da der Starkregen und auch die entsprechend dafür notwendige Justierung des Scheibenwischers eigentlich eine zu große Gefahr für die Weiterfahrt bedeutetet haben. Da das Oberlandesgericht die höchste Instanz für entsprechende Ordnungswidrigkeiten darstellt, ist der Klageweg bereits vollständig beschritten. Andere, nicht dem OLG Karlsruhe untergeordnete Amtsgerichte, sind zwar nicht an dieses Urteil gebunden und könnten anders entscheiden, erwartet wird das aber nicht. Der Bundesgerichtshof müsste zudem erst dann eine finale Entscheidung treffen, wenn ein weiteres OLG von diesem Urteil abweichend entscheidet. Das Tesla-Urteil des OLG Karlsruhe hat daher laut Experten bereits Signalwirkung hinsichtlich der Bedienung von fest verbauten Touchdisplays in Fahrzeugen. Wie sich die Hersteller damit arrangieren, ist aktuell noch nicht geklärt.


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