Nach der Flut: Das Leben wieder ans Laufen bringen

Über Nacht zerstörte die Flut den Landtechnikbetrieb Willerscheid in Ahrweiler. Der eilbote war vor Ort und sprach mit Udo Willerscheid über das Erlebte, Solidarität und Hoffnung.

Ahrtal: Nach der Flut: Das Leben wieder ans Laufen bringen

Tausende Tonnen Müll werden noch immer an den Straßen entlang der Ahr zwischengelagert.

Ahrtal: Nach der Flut: Das Leben wieder ans Laufen bringen

Das Wasser stand knie- bis hüfthoch in den Hallen. Die Flut kam so schnell, dass nichts mehr ausgeräumt werden konnte, auch nicht die Kleinteile.

„Der schlimmste Moment dieser Nacht war, als der Strom komplett ausfiel und man nur noch das laute Rauschen des Wassers hörte und nicht wusste, was um einen herum geschieht.“ Udo Willerscheid, Landtechnikhändler aus Ahrweiler, erinnert sich nur ungern. „Was folgte waren bange Fragen nach Familie, Freunden und Nachbarn und ganz massive Existenzängste“.

Heute, mehrere Wochen nach der Flutkatastrophe, ist das Wasser zwar längst weg. Opfer im engsten Kreise hat Willerscheid auch nicht zu beklagen. Die Ängste aber sind geblieben. So geht es wohl den meisten Ahrtalbewohnern. „Andere hat es schlimmer getroffen als uns. Aber wir leben in einem kleinen Ort, jeder kennt jeden. Und jetzt kennt auch jeder jemanden, der in der Flutnacht jemanden verloren hat.“ Das treibt Udo Willerscheid fast die Tränen in die Augen.

Freundschaft, Solidarität und Hoffnung – das sind die Dinge, über die Udo Willerscheid lieber spricht. Wenn auch nicht weniger emotional. „In der Schreckensnacht dachten wir, der liebe Gott hat uns vergessen. Aber dann hat er hier Engel fallen lassen.“ Das ganze Tal scheint von diesem Geist beseelt und getragen. Nicht nur die Einheimischen werkeln unermüdlich auf den Straßen und in ihren Häusern, auch Tausende Freiwillige haben den Weg ins Krisengebiet gefunden. Und sie kommen nach wie vor.

Einer ist Jan Fabian Günther, ein Landmaschinenmechaniker und Lohnunternehmer aus dem fernen Lüneburg. „Die eindringlichen Facebook-Videos der Ersthelfer, allen voran von Lohnunternehmer Markus Wipperfürth, haben mich einfach nicht mehr losgelassen“, erinnert er sich. Zwei Wochen nach der Flutnacht gab es für ihn kein Halten mehr. Er setzte sich ins Auto und fuhr Richtung Ahrtal. Dort angekommen, verwies ihn der Shuttle-Service an den ortsansässigen Winzerverein in Ahrweiler. Die schickten den Landtechnikexperten in die Walporzheimer Straße 100 zu Udo Willerscheid.

Aus dem Helfer wurde ein Freund

Aus dem unbekannten Helfer Günther ist längst der Freund Jan Fabian geworden, einer der Engel, die vom Himmel fielen. Hilfe war auch dringend nötig. In den Hallen von Udo Willscheid stand das Wasser zwar „nur“ hüfthoch. Der Weitläufigkeit des Geländes war es zu verdanken, dass die Gebäude selbst keinen größeren Schaden nahmen. „Die Strömung war nicht so stark wie in den engen Straßen, auch Baumstämme und Müll zogen sozusagen an uns vorbei“, berichtet er. Doch das Inventar war hin. Das Wasser führte jede Menge belasteten Schlamm mit sich, der setzte sich in jeder Ritze, in jedem Kleinstteil der Maschinen ab. Das Wasser hat alles, was ebenerdig in der Halle stand, zerstört. Alles bedeutet im Fall der Firma Willerscheid tatsächlich alles.

Günther ist schon das zweite Mal zur Unterstützung an die Ahr gekommen, denn noch immer gibt es viel zu tun. Zwischenzeitlich hatte er noch schnell eine Hilfslieferung mit Heu für landwirtschaftliche Betriebe in der Region organisiert. Vorrangig geht es ihm jetzt darum, seinen Freund Udo darin zu unterstützen, die dringend benötigten Maschinen und Geräte für die Weinbergsarbeit wieder in Gang zu setzen. Die Winzer befinden sich mitten in der Saison, jeder Schlepper und jede Raupe wird in den Steillagen gebraucht. Die Zeit der Lese steht an. Dass es überhaupt noch etwas zu ernten gibt, ist ebenfalls den unzähligen freiwilligen Helfern und der Unterstützung vieler Firmen zu verdanken.

Ahrtal: Nach der Flut: Das Leben wieder ans Laufen bringen

Auch einige Maschinen sind den Fluten, und vor allem dem Schlamm, zum Opfer gefallen. Glück im Unglück, dass sich in der Flutnacht nicht allzu viele Geräte auf dem Gelände befanden.

Unterstützung der Kollegen und Lieferanten

„Dass wir heute trotz des Totalausfalls wieder arbeiten können, verdanken wir den vielen Helfern“, immer wieder kommt Willerscheid auf diesen Punkt zurück. „Ob das die unbekannten Eimerträger der ersten Tage waren, die den Schlamm aus meinen Hallen geschaufelt haben, oder die Frauen, die jeden Tag den Kaffee vorbeibrachten. Oder die eigenen Kunden, die bereits in den ersten Tagen zu Hilfe eilten, damit unser Betrieb wieder schnell ans Laufen kommt. Oder meine Mitarbeiter, die ja zusätzlich damit beschäftigt waren und sind, ihr eigenes Zuhause zu retten. Oder meine Lieferanten, die sofort ihre Hilfe angeboten haben.“ Die möchte Willerscheid namentlich genannt wissen, weil er die Unterstützung nicht für selbstverständlich hält. „Unter den Helfern waren die Firmen Moerschen, Ero, Clemens, Leo Thiesgen, Case/Steyr und sogar die Firma Geier aus Südtirol. In der Not zeigt sich, auf wen man sich verlassen kann.“

In den ersten Tagen waren vor allem Notstromaggregate gefragt. Auch hier halfen die Firmen und lieferten. Willerscheid übernahm die Koordination und Verteilung der Geräte. In dieser Phase war wohl jeder Betroffene Helfer und Hilfsempfänger zugleich. Das gute Netzwerk der Branche zahlte sich aus.

Über die Schadenshöhe für seinen Betrieb will Willerscheid nicht gerne sprechen. Aber es soll auf jeden Fall weitergehen, auch wenn sozusagen das Lebenswerk der Familie Willerscheid den Fluten zum Opfer gefallen ist. Weitermachen heißt in diesen Tagen, vielfach neu anfangen. „Ich bin hier geboren und aufgewachsen, hier sind meine Wurzeln und ich will hier bleiben“, da ist sich Udo Willerscheid, der die Firma in der vierten Generation führt, sicher. „Ich glaube fest daran, dass es weitergeht. Auch wenn noch viel im Argen liegt.“ Die ersten Landes- und Kreishilfen fließen, der Bedarf an landtechnischem Know-How und auch an neuen Maschinen ist groß. Willerscheid ist es auch wichtig zu kommunizieren, dass die ortsansässigen Firmen und Handwerksbetriebe alles daransetzen, wieder auf die Füße zu kommen und einen ordentlichen Betrieb aufzunehmen.

Eine Frage steht für alle nach wie vor im Raum, in die Verzweiflung mischt sich zunehmend auch Wut. Hätten die vielen Todesopfer und die schweren Schäden vermieden werden können? Immerhin hatte das Mainzer Landesamt für Umwelt am 14. Juli schon um kurz nach 20 Uhr eine Flutwelle von sieben Metern für die frühen Morgenstunden des 15. Juli im Ahrtal vorhergesagt. Warum wurde nicht rechtzeitig gewarnt, warum liefen die Hilfsmaßnahmen danach so schleppend an, hat die Politik die Menschen im Ahrtal inzwischen schon vergessen? Das alles sind auch Fragen nach Schuld und Verantwortlichkeit.

Ahrtal: Nach der Flut: Das Leben wieder ans Laufen bringen

In einer der Hallen haben Udo Willerscheid und seine Helfer den Schrott zusammengetragen. Alles, was hier steht, muss entsorgt werden.

Ahrtal: Nach der Flut: Das Leben wieder ans Laufen bringen

Freunde fürs Leben – Udo Willerscheid (li.) und Jan Fabian Günther.

Hintergrund

Flutnacht 15. auf 16. Juli 2021

Niederschläge 120 bis 140 l/qm über zwölf Stunden

Pegelstand der Ahr rund acht Meter, das ist mehr als das Doppelte vom historischen Höchststand 2016.

133 Todesopfer, drei Menschen werden noch vermisst. Entlang der Ahr wohnen insgesamt 56.000 Menschen, laut Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD sind 42.000 betroffen, davon haben mindestens 17.000 unmittelbar Hab und Gut verloren, 500 Häuser sind zerstört, von den 4.200 Gebäuden entlang der Ahr sind geschätzt mehr als 3.000 beschädigt worden. Fünf Kilometer Straßen sind vollständig zerstört, davon 0,7 km Brückenwege, 180 km beschädigt.

(Quelle: Rhein-Zeitung und SWR3)

Der Kreistagsabgeordnete Horst Gies spricht in einem Interview von einer Müllmenge, die sonst in 25 Jahren anfällt. Der Müll ist belastet mit Öl, Benzin und Blei. Die Mülldeponien sind überlastet.

(Quelle: Report)

Der Betrieb

Wilfried Willerscheid GmbH & Co. KG

Bad Neuenahr-Ahrweiler

Familienbetrieb in 4. Generation

Schwerpunkte: Landmaschinen, Fokus auf Weinbau (Außenwirtschaft und Kellerei), Schlosserei, Gartengeräte, Fahrräder.


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