Es gibt nicht viele deutsche Manager, die es an die Spitze eines großen US-Konzerns geschafft haben. Und unter diesen wenigen gibt es niemanden, der sich so lange wie Martin Richenhagen auf diesem Posten hielt. Eigentlich hätte der gebürtige Kölner schon vor zwei Jahren mit Erreichen der Altersgrenze als CEO bei AGCO ausscheiden sollen – doch der Aufsichtsrat verlängerte das Mandat noch einmal, weil es mit dem Deutschen einfach so gut lief.
Eric Hansotia galt zwar schon länger als „Kronprinz“ beim Mutterkonzern von Fendt, Challenger, Valtra und Massey Ferguson. Doch schon andere potenzielle Richenhagen-Nachfolger wie etwa Hubertus Mühlhäuser, zuletzt Chef des Wettbewerbers CNH Industrial (Case IH, New Holland, Steyr), oder auch Rob Smith, ein smarter Texaner mit Deutschland-Affinität, hatten kurz vor dem Sprung an die AGCO-Spitze das Unternehmen überraschend verlassen. Jetzt also hat es Hansotia geschafft, den Richenhagen vor sieben Jahren vom Konkurrenten John Deere in sein Unternehmen holte, weil der studierte Maschinenbauer dort nach 20 Jahren nicht die richtige Würdigung seiner Leistungen erfahren hatte.
Richenhagen selbst war von seinen eigenen Leistungen immer überzeugt – und kommuniziert das auch gerne nach außen, was ihm bei vielen in der Landtechnik-Branche den Ruf eines eitlen und selbstverliebten Managers einbrachte. Doch wer sich die Erfolgsgeschichte des einstigen Religionslehrers ansieht, erkennt schnell, dass so einer sein Licht nicht unter den Scheffel stellen muss. Unter seiner Ägide hat sich der Umsatz von ACGO von 1,8 auf bis zu neun Milliarden US-Dollar gesteigert, der Börsenwert der einst kleinen Holding vervierfachte sich auf bis zu sechs Milliarden Dollar.
Im März 2004 hatte Richenhagen den Chefposten bei dem US-Konzern mit Sitz in Duluth, Georgia, angetreten, nachdem sich der frühere Claas-Manager bei den Amerikanern gegen 15 Konkurrenten beim Schaulaufen um den Job durchgesetzt hatte. Schon im Sommer 2004 verkündete er stolz auf der Fendt-Jahrespressekonferenz, dass AGCO nun in die Liste der „Fortune 500“-Liste der US-Unternehmen aufgenommen worden sei. Und er erklärte selbstbewusst, dass sich die AGCO-Umsätze bald denen der Weltmarktführer Deere und CNH annähern würden. In einem Gespräch mit dem Eilbote kündigte er damals zudem an, dass der Konzern ein sogenanntes Full-Line-Programm bieten werde – also nicht nur Schlepper, sondern auch Geräte wie Mähwerke, Pressen oder Ladewagen. Und auch ein Mähdrescherprogramm stand da schon auf Richenhagens Agenda.
Wer das Interview aus 2004 heute liest, muss zugeben, dass Martin Richenhagen nicht zu viel versprochen hat. 2010 etwa übernahm AGCO die komplette Mähdrescherfertigung von Laverda, heute gehört der Fendt Ideal als konsequente Fortsetzung der Entwicklung zu den Top-Maschinen dieses Segments. Über Jahre hinweg spottete die Konkurrenz über Gerüchte, Fendt werde einen eigenen Feldhäcksler präsentieren, das würden die Marktoberdorfer doch nie hinbekommen. 2011 ging der Katana an den Start. Im selben Jahr kaufte Richenhagen auch den Futtererntespezialisten Fella aus Feucht und markierte damit einen weiteren Schritt hin zum Full-Liner. 2017 kamen schließlich die Ballenpressen und Ladewagen von Lely zum AGCO-Programm. Klarer Fall: „Mission completet.“ Dem Magazin „Capital“ erklärte Richenhagen einmal sein Motto: „Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage…”
Wenn Martin Richenhagen nun zum Jahreswechsel das Zepter aus der Hand gibt, wird das allerdings nicht wirklich ein Ruhestand. Er sitzt weiter im Aufsichtsrat des Gase-Konzerns Linde, der 2019 mit dem US-Unternehmen Praxair fusionierte. Dass er auch in das Aufsichtsgremium bei AGCO einzieht, gilt als sicher.
Zudem wurde er zum Vorsitzenden des Kuratoriums des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) an der John Hopkins University gewählt, eine Organisation für wissenschaftliche und sicherheitspolitische Fragen zwischen den USA und Deutschland. Auch dem Reitsport, zeitlebens seine Berufung, bleibt er weiter in verschiedenen Funktionen erhalten.
AGCO indes wird mit Hansotia deutlich amerikanischer, auch wenn Fendt nach wie vor Technologieführer im Konzern ist. Doch überm großen Teich gehen die deutschen Ingenieursleistungen nicht grün, sondern längst gelb unter der Marke Challenger an den Start. Und der neue Boss hat reichlich Zeit, dem US-Konzern seinen Stempel aufzudrücken: Auf der von wallmine.com veröffentlichten Altersliste der 24 AGCO-Führungskräfte ist Eric Hansotia der drittjüngste. In seiner Abschiedserklärung zeigte Martin Richenhagen sich zuversichtlich für die neue Führung: „Die besten Tage für AGCO kommen erst noch.“