Kommt der Messerbalken zurück?

Mähbalken und Bandschwader zur Pflege von Weg- und Straßenrändern: Bei Landtechnik Reese in Altgandersheim im südlichen Niedersachsen geht jetzt ein Prototyp in den Einsatz.

Mähtechnik: Kommt der Messerbalken zurück?

Im Heckanbau der Bandschwader. Mit dem Auslegerarm sind verschiedene Neigungswinkel möglich, trotzdem läuft der Schwader gestützt auf vier Rädern sicher über die Fläche.

Mähtechnik: Kommt der Messerbalken zurück?

Das Gespann: im Frontanbau der Messerbalken, 1,3 m Arbeitsbreite für die Arbeit entlang der Wegränder.

Schon seit einigen Jahren haben sich ambitionierte Landwirte der Verbesserung der Technik und des Verfahrens der Mahd mit Messerbalken verschrieben. Wenngleich auf den meisten landwirtschaftlichen Betrieben die Mähbalkentechnik bestenfalls als Deko in der Kellerbar hängt.

Schon 2016 berichteten wir im eilboten über die Doppelmesserbalkentechnik der BB Umwelttechnik, Bernbeuren/ Bayern, damals ausgezeichnet mit dem Europäischen Bienenpreis des EU-Dachverbandes der Landmaschinenindustrie (CEMA) und der Organisation europäischer Landbesitzer (ELO) in der Kategorie „innovative und technische Lösungen“. Der CEMA-Ehrenpräsident Giles Dryancour betonte damals, dass mit dieser Technologie die negativen Auswirkungen der landwirtschaftlichen Nutzung auf Bestäuberpopulationen verringert werden könnten.

Die Doppelmessertechnik der BB Umwelttechnik ist konzipiert für die Flächenmahd auf heiklen Standorten, Hanglagen und druckempfindlichen Böden. Zum Einsatz reichen kleinere und leichtere Traktoren aus, als sonst zum Antrieb eines Trommel- oder Scheibenmähwerks notwendig sind. Nebenbei schont auch dies Insektenbestand. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass beim Einsatz von Trommel- und Scheibenmähwerken und gleich anschließender Aufbereitungstechnik 60 bis 90 Prozent der Insekten kaum eine Chance haben, zu entkommen. Beim Mähbalken ist die Arbeitsfläche, auf der die Klingen wirken, auf die Klingentiefe beschränkt. Der Wirkbereich eines Scheibenmähers ist mehr als doppelt so groß und der eines Trommelmähwerks um das Fünffache höher als der des Balkenmähers. Das potenziert sich durch die schnelle Rotation der Werkzeuge und die so entstehenden Sogeffekte.

Von den Fakten zur Idee

Diese Fakten beschäftigten den Landwirt Jürgen Hirschfeld, Landwirt in Seesen und Beisitzer im Vorstand des Landschaftspflegeverbandes (LPV) Goslar, gemeinsam mit seinen Mitstreitern Karl Friedrich Könecke, Geschäftsführer Landschaftspflegeverband Goslar e.V., und Hannes Kubbig, Geschäftsführer Land- und Gartentechnik Reese in Altgandersheim, schon längere Zeit. Wo kann man Insekten schonen, ohne möglicherweise Einbußen bei der notwendigen Futterqualität in Kauf nehmen zu müssen? Hirschfeld hatte dabei die Wegränder im Blick.

Mähtechnik: Kommt der Messerbalken zurück?

Das kreative Team: Malte Baumann, Marvin Gottschalk, Karl Friedrich Könecke, Jürgen Hirschfeld und Hannes Kubbig (v. l.).

Der Weg ist das Ziel

Wegränder fallen kaum auf. Ein Streifen links und rechts des Weges – mehr nicht. Geht man bei einem Kilometer von durchschnittlich zwei Meter Wegrand links wie rechts aus, sind es schnell 4.000 Quadratmeter „ungenutzter“ Fläche, die mit dem Mäher bearbeitet wird. Das sind nach heutigen Maßstäben acht Bauplätze, auf denen Insekten ebenso weggeschlegelt werden wie Kleintiere oder rosettenbildende Pflanzen. Das Material verbleibt in der Regel und düngt den Streifen zusätzlich. In trockenen Jahren „verbrennt“ die Pflanzennarbe, da eher sehr kurz gemäht wird. Genau diese Fläche könnte für den Insektenschutz relevant sein, da die wirtschaftliche Nutzung eine untergeordnete Rolle spielt. Als Rückzugsfläche der Insekten aber birgt sie ungenutztes Potential. Für das eigentliche Mähgut sollte auch eine Lösung gefunden werden. Denn verbleibendes Material „düngt“ die Seitenstreifen und verändert so allmählich die standorttypische Vegetation.

Mähtechnik: Kommt der Messerbalken zurück?

Im November des vergangenen Jahres der erste Praxistext mit dem Gespann. Richtig los geht’s in der Mäh-Saison 2023.

Mähtechnik: Kommt der Messerbalken zurück?

Der Schwader läuft auf den vier Rädern sicher hinter dem Traktor. Die Arbeitsneigung wird über den Auslegerarm gesteuert.

Von der Idee zur Technik

Für seine Idee konnte Jürgen Hirschfeld das Team von Land- und Gartentechnik Reese begeistern. Hier findet sich nicht nur technisches Know-how, Erfahrung im Umbau von Landtechnik nach Kundenwünschen, sondern auch die Begeisterung für die ökologischen Fragen der Landwirtschaft. „Mähen mit Mähbalken am Wegesrand ist ja nun nicht die Erfindung des Rades“, so Hannes Kubbig, Geschäftsführer Landtechnik Reese, lachend. Die Herausforderung bestand darin, dass sowohl der Mähbalken als auch der Bandschwader nicht nur auf nahezu waagerechten Flächen einwandfrei arbeiten, sondern auch an den Steigungen und Neigungen der Böschungen oder Grabenrändern funktionieren. Zudem sollte die Technik schnell und unkompliziert anbau- und bedienbar sein, und das für alle landwirtschaftlichen und kommunalen Traktormodelle. „Also an jedem aktuellen Standardtraktor funktionieren – ohne Schnickschnack und Extrageräte“, so Kubbig.

Malte Baumann: „Wir haben sofort verstanden, wie sich Jürgen Hirschfeld das Gerät vorstellt. Die Komponenten mussten nicht neu erfunden werden.“ „Die nicht“, ergänzt Marvin Gottschalk lachend, „aber die Kombination der Komponenten.“ Nach nur vier Wochen Bauzeit haben Malte Baumann und Marvin Gottschalk, beide sind erfahrene Gesellen bei Land- und Gartentechnik Reese, zusammen mit Hannes Kubbig und Jürgen Hirschfeld diese Idee umgesetzt. Das Frontmähwerk ist ausschwenkbar, und der eigentliche Messerbalken kann in verschiedenen Neigungswinkeln betrieben werden. Das Messer läuft, wenn es ganz abgesenkt ist, auf Kufen circa 10 cm über dem Boden. Das schont sowohl die am Boden lebenden Insekten als auch die zahllosen Kleintiere. Reicht die Kufenhöhe nicht aus, kann diese mit wenigen Handgriffen gegen einen höhere Kufe ausgetauscht werden. Zum Mähen der Wegränder ist das Gespann mit einem 1,3 m Messerbalken ausgerüstet. Für die Mahd in der Fläche wird dieser gegen den 2,7 m Balken ausgetauscht.

Die Steuerung des in Front angebauten schwenkbaren Messerbalkens ist ebenso wie der schwenkbare Bandschwader im Heckanbau hydraulisch angetrieben. Der Bandschwader fördert das Mähgut vom Seitenrand an den Wegesrand, von wo es aufgenommen und abgefahren werden kann. „Der Bandschwader hängt an einem Hydraulikarm und ist mit vier Reifen sehr geländegängig“, erläutert Hannes Kubbig. „Mit dieser Technik haben gut 95% der am Wegesrand oder den Pflegeflächen lebenden Insekten eine Überlebenschance“, freut sich Jürgen Hirschfeld. Es ist gelungen, die Technik robust zu konzipieren, ohne dass sie zu schwer wird, und ist an jeden Traktor einfach anzubauen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, denn die Technik soll allen Landwirten und besonders auch den Kommunen zur Verfügung stehen.

Förderungen – Programme sind Ländersache

Ein Beispiel ist das HALM-Programm (Hessen) für den praktischen Anwender der Mähbalkentechnik. Wer an einem der HALM-Programme „Ökologischer Landbau“, „Grünlandextensivierung“ oder „Bodenbrüterschutz“ teilnimmt, kann sich im Rahmen der aufgeführten „Naturschutzfachlichen Sonderleistungen (NSL) auf Grünland“ den Einsatz oszillierender Mähtechnik fördern lassen. Im Einzelnen entspricht diese Maßnahme einem Prämiensatz von 60 Euro/ha. Werden mehrere Komponenten der „Naturschutzfachlichen Sonderleistungen“ kombiniert, können Förderbeiträge bis zu 270 Euro/ha erzielt werden. Gleichzeitig gibt es verschiedene Bundesprogramme oder Fördermöglichkeiten über die Bundesländer. Auf www.foerderdatenbank.de finden sich verschiedene Programme.

Die Umsetzung der Idee von Jürgen Hirschfeld war auch erst möglich, als eine Förderung über das Programm „Nicht-produktiven investiven Naturschutz“ bewilligt war.

Reese Land- und Gartentechnik

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Reese Land- und Gartentechnik ist 1665 als Dorfschmiede gegründet worden.

Die Reese Land- und Gartentechnik kann auf eine lange Tradition zurückblicken, das Gründungsdatum war im Jahr 1665. Ein Familienunternehmen, fest verwurzelt und gut vernetzt weit über den Landkreis Northeim hinaus. Technik für Land- und Forstwirtschaft gehört zum Portfolio, ebenso wie Geräte und Maschinen rund um Garten- und Landschaftspflege oder Kommunaltechnik. Seit weit mehr als 30 Jahren wird Same Deutz-Fahr erfolgreich in der Region vertreten. Geschäftsführer Hannes Kubbig: „Unsere Region ist vielseitig. Landwirtschaftliche Betriebe mit Ackerbau, Viehhaltung oder Forstnutzung gehören ebenso zu unseren Kunden wie Gartenbesitzer, Kommunen oder Verbandsorganisationen, die sich gerade hier rund um den Harz in der Pflege und den Erhalt der besonderen natürlichen Flora verschrieben haben. Darum sind wir bei der Auswahl unserer Lieferanten bemüht, den Ansprüchen unserer Kundschaft zu entsprechen.“ Zum Portfolio gehören Hersteller wie Same Deutz-Fahr, Kuhn, Toyo Hoflader, Lemken, Maschio, Jansen, Solis, Honda, Stihl, Stiga, um nur einige zu nennen. Das gut 20-köpfige Team sorgt in der Werkstatt für qualifizierte Wartung und Reparaturservice.

Kundenspezifische Sonderanfertigungen wie zum Beispiel Standardtraktoren für den Forsteinsatz zu optimieren, sind für die erfahrenen und engagierten Mitarbeiter kein Problem. Als Ausbildungsbetrieb werden bei Reese aktuell vier Azubis zu Land- und Baumaschinenmechatronikern ausgebildet. Wie schon in den zurückliegenden Jahren öffnet Reese auch in diesem Jahr am 27. April, dem „Zukunftstag“, die Werkstatt für Mädchen und Jungen aus den Schulklassen 5 – 9.

Hannes Kubbig: „Ausbildungsmöglichkeiten zu bieten, ist für uns nicht nur eine Frage, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Es macht uns Spaß, Wissen und Fertigkeiten zu vermitteln. Und manchmal sind wir positiv überrascht, wenn unsere Azubis oder Praktikanten mit einer ganz eigenen neuen Sicht an Dinge herangehen.“ Zustimmend nickt Seniorchef Gerhard Reese und ergänzt lachend: „Ja, manchmal erfrischend unkonventionell.“


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