In der Bundespolitik reißen tiefe Gräben auf

Sprecher der CDU/CSU-Fraktion appelliert an Grüne und SPD, „keine unbegründete Angst zu schüren“

Auf bundespolitischer Ebene herrscht über die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Deregulierung von neuen Züchtungstechniken alles andere als Einigkeit. Gesprächsbedarf zeichnet sich auch unter den Regierungsfraktionen ab. Aus Sicht von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zielt die Kommission in die richtige Richtung. „Wir halten mit dieser Technologie den Schlüssel für die großen Herausforderungen der Menschheit in der Hand: Mit den neuen Züchtungstechniken können wir schneller als je zuvor Pflanzen erzeugen, die wesentlich widerstandsfähiger gegen Schädlinge oder Extremwetter wie Hitze und Dürre sind“, zeigte sich die FDP-Politikerin überzeugt.

Ähnliche Stimmen kamen aus der Bundestagsfraktion der Liberalen. Fraktionsvize Carina Konrad sprach von einem „wichtigen Schritt zu einer wissenschaftlichen fundierten und innovationsfreundlichen Regulierung“. Vor dem Hintergrund der bedeutenden Potenziale der neuen Technologien sei es unverzichtbar, einen fortschritts- und technologieorientierten Regulierungsrahmen zu unterstützen. Der landwirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Dr. Gero Hocker, erklärte, mit den innovativen Methoden ließen sich viele Herausforderungen gleichzeitig lösen. Die Bundesregierung müsse den weiteren Prozess auf EU-Ebene nun „positiv begleiten“.

Scharfe Kritik am Kommissionsvorschlag übten indes die Grünen. Die Bundestagsfraktion monierte einen Schritt in die „völlig falsche Richtung“. Der Entwurf diene den Profiten einzelner Konzerne, aber nicht der Sicherung der Ernährung, erklärte die Sprecherin für Landwirtschaft und Ernährung, Renate Künast, gemeinsam mit dem Obmann im Agrarausschuss, Karl Bär. Der Vorschlag privilegiere Unternehmen, die auf gentechnisch modifizierte Produkte setzten und bürde der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie den verarbeitenden Betrieben sehr hohe Kosten auf. „Das von der Kommission beabsichtigte Ziel, den Ökolandbau bis zum Jahr 2030 europaweit auf 25 Prozent auszubauen, konterkariert sie damit selbst“, so Künast und Bär.

Zurückhaltender äußerte sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. „Für mich als Minister für Landwirtschaft und Ernährung sind bei der Regelung zu neuer Gentechnik entscheidend, dass sowohl die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher als auch die der Landwirtschaft im Mittelpunkt der Ausgestaltung stehen“, so der Ressortchef. Im Vorschlag der Kommission sieht der Grünen-Politiker zwei zentrale Themen nicht ausreichend berücksichtigt – die Patentierung und die Koexistenz. Özdemir betonte, dass Vorhaben dürfe nicht zur Einführung von Biopatenten durch die Hintertür führen. Außerdem brauche es wirksame Koexistenzmaßnahmen über die gesamte Kette, um beiden Bereichen, also mit Agrogentechnik und ohne, weiterhin ihr Auskommen zu gewährleisten.

Eindeutigen Anklang fand der Vorschlag der Kommission bei der Opposition. „Die neuen Züchtungstechnologien dürfen nicht das nächste Opfer der Innovationsfeindlichkeit der Grünen werden“, warnte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Steffen Bilger gemeinsam mit Agrarsprecher Albert Stegemann. Sie appellierten an Grüne und SPD, dem Reflex, „unbegründet Angst zu schüren“, zu widerstehen. Stegemann bezeichnete den Kommissionsvorschlag als „Meilenstein für die Ernährungssicherung“. Der Bundeslandwirtschaftsminister müsse in der Bundesregierung eine einheitliche Position herbeiführen und im Rat auf die Annahme des Vorschlags hinarbeiten.

Eine Deregulierung der neuen Züchtungstechniken wird auch von den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen weitgehend positiv gesehen. Das zeigen die Reaktionen verschiedener Wirtschaftsverbände auf den Vorschlag der EU-Kommission. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), Dr. Henning Ehlers, sprach von einem „Meilenstein der europäischen Agrarpolitik“ und einem „guten Tag für Europa“. Die Ausrichtung des europäischen Gentechnikrechts am weltweiten Stand der Wissenschaft sei überfällig. Ungerichtete und rein auf Zufall setzende Verfahren der Mutationszüchtung seien bereits von den Gentechnikregelungen befreit, daher gebe es keinen Grund, die „überlegenen Verfahren der Präzisionszüchtung im Regelungskorsett zu belassen“.

Der Industrieverband Agrar (IVA) begrüßte ebenfalls die „praxistauglichere Ausrichtung“ des Kommissionsvorschlags. Laut Hauptgeschäftsführer Frank Gemmer werden die neuen Verfahren für eine resiliente Landwirtschaft in Europa gebraucht. Die EU-Kommission habe die Chancen erkannt und eine wichtige Weichenstellung vorgeschlagen. „Jetzt gilt es, den Entwurf auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen und im Dialog eine wettbewerbsfähige Regulierung für Züchtende jedweder Größe zu entwickeln, die gleichzeitig die Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt sicherstellt“, so Gemmer.

Auch bei den im Grain Club organisierten Verbänden der Lebens- und Futtermittelwirtschaft wurde der Entwurf positiv aufgenommen. Die EU-Kommission folge den Empfehlungen wissenschaftlicher Einrichtungen und setze ein Zeichen für einen evidenzbasierten und ideologiefreien Umgang mit den neuen genomischen Techniken, so das Fazit vom Geschäftsführer des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID), Dr. Momme Matthiesen.

Zugleich wies der Grain Club darauf hin, dass die von der Kommission vorgeschlagene Einteilung der neuen Züchtungstechniken beziehungsweise ihrer Produkte in anderen Ländern nicht existiere. Unter diesen Umständen stelle sich die Frage, wie mit entsprechender Konsumware im internationalen Agrarhandel rechtssicher umgegangen werden solle. An die Bundesregierung appellierte der Grain Club, der globalen und heimischen Ernährungssicherung mehr Priorität einzuräumen. Die Politik müsse die landwirtschaftliche Produktivität in Europa auch mit Hilfe moderner Züchtungsmethoden erhalten und ausbauen.


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