Schweizer Digger räumt mit Minen auf

Bevor auf ukrainischen Feldern die Saat in den Boden gebracht wird, müssen Landminen geräumt werden. Dies geschieht auch mit dem Digger 250, einer Präsizionsmaschine aus der Schweiz.

Ukraine: Schweizer Digger räumt mit Minen auf

Räumung von acht Kilogramm TNT mit dem Schweizer Minenräumgerät Digger in sechs Aufnahmen.

Ukraine: Schweizer Digger räumt mit Minen auf

Ferngesteuert durch das Minenfeld schafft das Gerät die Räumung von 300 bis 1.800 Quadratmetern pro Stunde. Die Minenfräse: Arbeitsbreite circa 1,90 Meter, der Arbeitsbereich liegt zwischen 25 Zentimetern Tiefe und fünf Zentimetern Höhe, optional bis zu 30 Zentimetern Tiefe.

Seit Februar 2022 bekommt in der Ukraine der Begriff „Bodenbearbeitung“ ganz andere Dimensionen und stellt an den landwirtschaftlichen Praktiker bisher nicht gekannte Herausforderungen. Denn seitdem liegen im Boden der „Kornkammer der Welt“ nicht nur Saaten der Kulturpflanzen, sondern auch Landminen. Ein Faktor, der den üblichen Rahmen der möglichen und zu berücksichtigenden Faktoren der Bodenbearbeitung im wahrsten Wortsinn sprengt. Schlimmstenfalls nicht nur den Boden, sondern das ganze Traktorengespann.

Der Bodenbearbeiter

Landminen entschärfen ist in vielen Krisengebieten der Welt noch immer Handarbeit, weil Maschinen nicht vorhanden oder zu teuer sind. Mit einem robusten Minenräumer kann eine Fläche in der gleichen Zeit gesäubert werden, in der sonst 200 bis 300 Menschen benötigt würden, die die Minen mit Suchgeräten auffinden und anschließend manuell entschärfen. Eine lebensgefährliche Tätigkeit. Die gängigen Minenräumer als moderne Alternative sind tonnenschwere Großmaschinen. Der Minenräumer „Keiler“ von Rheinmetall wiegt 54 Tonnen. Etwas leichter mit gut 20 Tonnen ist das Minenfahrzeug Hydrema, eingesetzt im österreichischen Bundesheer. Zur Bedienung und Steuerung sind jeweils zwei Personen notwendig.

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Der Minenräumer Digger wird in Tavannes produziert, nordwestlich von Bern (Schweiz) .

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Verladung in einen Überseecontainer. Da passt der Minenräumer rein.

Der Schweizer Minenräumer Digger D250 bringt mit einer soliden Panzerung (Fahrgestell und Fahrwerk 10 mm Quard 450) „nur“ gut 12 Tonnen Gewicht auf die Waage. Unter der Panzerung läuft ein 250 PS 6-Zylinder John Deere Motor, die Hydraulik mit 160 l Tank ist von Bosch Rexroth. Bei der Konzeption wurde der Transport mitbedacht, er passt in einen Überseecontainer.

Damit zählt der Digger wohl eher zu den kleineren Minenräumern. Wie die „Großen“ arbeitet auch der Digger 250 bis circa 25 cm Tiefe und kann Landminen mit einer Sprengkraft von gut 10 kg Sprengstoff abräumen – entweder durch Zerstörung, sodass sie nicht mehr detonieren können, oder durch Auslösen der Sprengung.

Im Unterschied zu den „Großen“ muss hier keine Besatzung den Minenräumer steuern. Mit der Fernsteuerung kann das Gerät auf bis zu 1.000 m Reichweite via GPS Real Time Kinematic (RTK) auf 2 cm genau manövriert werden. Drei sicher verbaute Kameras ermöglichen die direkte visuelle Kontrolle am Einsatzort.

Auf diese Weise können aus sicherem Abstand 300 bis 1.800 Quadratmeter pro Stunde zuverlässig geräumt werden. Bei der noch immer gängigen Praxis der manuellen Entminung schafft das menschliche Pendant circa fünf bis zehn Quadratmeter am Tag.

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Der 250 PS John Deere Motor entspricht den Leistungsanforderungen des Digger.

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Mit den verschiedenen Zusatzausstattungen kann der Digger auch zur Trümmerbeseitigung in heiklem Gelände genutzt werden.

Produktion im Kanton Bern

Die Stadt Tavannes, nordwestlich von Bern, ist bekannt für „Schweizer Präzisionstechnik“. Uhrenproduktion, Feinmechanik und Maschinenbau haben in dieser Region eine gut 150-jährige Tradition. Hier befindet sich auch die Produktionsstätte der Digger 250 in den Hallen des ehemaligen Zeughauses von Tavennes. Vor den Produktionshallen stehen zwei ältere Exemplare der Minenräumer. „Das sind Vertreter der ersten und der zweiten Generation, die im Kosovo und im Sudan eingesetzt wurden“, erklärt Frédéric Guerne, Gründer und Geschäftsführer der Digger-Stiftung. Mittlerweile verkauft Digger die vierte Generation, den D-250. Aktuell wird gerade ein solcher angefertigt. Es benötigt viel präzise Schweißarbeiten und gut 2000 Einzelteile. Die Komponenten wie Motor, Hydraulik, Getriebe, Kühlung werden bei namhaften Herstellern zugekauft. In gut drei Monaten Bauzeit ist das circa sechs Meter lange Gefährt aus rund zwölf Tonnen Stahl zusammengebaut. Die gesamte Konzeption des Minenräumers, von der Mechanik und Elektronik bis zur Software, wird im Haus der Digger-Stiftung entwickelt und produziert. Für frühere Modelle wurde ein Verkaufspreis von gut 700.000 Schweizer Franken kalkuliert, inzwischen ist die Elektronik noch ausgefeilter, und eine ganze Palette von zusätzlichen Werkzeugen steht zur Verfügung. Bisher laufen 14 Digger-Minenräumer. Die aktuell zehn Vollzeitmitarbeiter sind gut ausgelastet.

Bei der ursprünglichen Idee stand das Räumen der Minen im Fokus. Schon nach den ersten Einsätzen stand fest, dass zum Räumen der verminten Flächen oft Vorarbeiten notwendig sind. Bewuchs muss geräumt, Trümmer oder Wracks müssen aus der verminten Zone herausgeholt werden, um effizient räumen zu können.

So ist nicht allein die Ausstattung mit der Minenfräse eine Option, zusätzlich können am Heck Baggerausleger, Gabelstapler, Schaufel, Schild oder Seilwinde und sogar Drilltechnik angebaut werden. Auch hier arbeitet das Digger-Team mit namhaften Herstellern zusammen, kann aber auch in der eigenen R&D-Abteilung kundenspezifische Sondergeräte entwickeln und umsetzen.

Das Gerät wird in Tavannes komplett nach Kundenwunsch zusammengebaut und nach erfolgreicher Testphase ausgeliefert. Über die Maschinenherstellung hinaus arbeitet die Stiftung auch vor Ort und setzt ihre eigenen Instrumente unter realen Bedingungen ein. „Diese Erfahrung erlaubt es uns, die genutzten Technologien zu verfeinern und die Bediener optimal auszubilden“, erläutert Gentien Piaget.

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Die Minenfräse: Arbeitsbreite ca. 1,90 m, der Arbeitsbereich liegt zwischen 25 cm Tiefe und 5 cm Höhe.

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Geländegängig ist der Digger bei Steigungen bis 35 Grad und bei einer Seitenneigung bis 30 Grad.

Einsatz rund um den Globus

Die Stiftung Digger war in den letzten 15 Jahren mit ihren Minenräumern in über zehn Ländern im Einsatz, etwa in Mosambik, Senegal, Benin, Angola, im Sudan, Tschad, in Kroatien, Bosnien oder Mazedonien. Derzeit sind zehn Maschinen in acht Ländern im Einsatz. Seit 2016 arbeitet die international engagierte Entminungsorganisation Halo Trust (Die Hazardous Area Life-support Organization ist eine humanitäre, nicht-staatliche Organisation mit Sitz in Schottland) mit den Minenräumern Digger, um die Böden in Angola von Minen zu befreien. Und seit 2017 entmint die Hilfsorganisation Handicap International (eine gemeinnützige Organisation für Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit, in rund 60 Ländern aktiv, Sitz in Lyon/Frankreich) mit dem Digger im Senegal. Frédéric Guerne schätzt, dass weltweit ungefähr 160.000 Quadratkilometer Land vermint sind, das entspricht einer Fläche halb so groß wie Deutschland.

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Bergung: Mit einer Zugkraft von 14 Tonnen können Fahrzeuge aus vermintem Gelände herausgeholt werden.

Von der Idee zur Stiftung

Alles begann noch während des Studiums mit einem Projekt der ETH Lausanne zur Ortung von Minen. Frédéric Guerne, damals 25 Jahre alt und ausgebildeter ETH-Elektroingenieur, bekam die Chance, das Projekt zu leiten. Als das ETH-Projekt nach zwei Jahren zu Ende ging, begann er mit einigen Studienkollegen in einem alten Stall in Tavannes zu tüfteln. Allein Minen zu orten, war dem ambitionierten Team nicht genug, sie wollten ihr Know-how gegen die Waffentechnik einsetzen.

Und sie gingen noch einen Schritt weiter: Statt ein Unternehmen zu gründen, gründeten sie eine allgemeinnützige Stiftung. Der ehrenhafte Anspruch der Gründer, am Krieg beziehungsweise dessen Folgen kein Geld zu verdienen beziehungsweise nicht als „Kriegsgewinnler“ Geschäfte machen zu wollen, macht die tägliche Arbeit nicht einfacher. Die Produktion des Diggers wird über Spenden finanziert.

Neben den aktuellen Lieferengpässen beim Material erschweren dem Team in Tavannes finanzielle Probleme die Produktion. „Im Moment kommen laufend Anfragen, aber überall ist das Geld knapp“, erklärt Guerne.

Die Digger-Stiftung kann mit ihren aktuell zehn Mitarbeitern der Nachfrage kaum nachkommen. Guerne: „Mit unserem kleinen Team können wir ein bis maximal zwei solcher Spezialgefährte pro Jahr produzieren.“ Deshalb sucht die Stiftung nach in- und ausländischen Partnern, die helfen könnten, die Kapazitäten auszuweiten.

Durch den vielseitigen Einsatz, die geringe Größe bei einem vergleichsweise niedrigen Preis, ist der Digger 250 gerade für Regionen, in denen nur ein geringes Budget zur Verfügung steht, eine gute Lösung. Das zeigen auch die zahlreichen Anfragen an die Digger-Stiftung. Gesucht werden Spender und Kooperationspartner, die sich an der Produktion beteiligen. Da wären besonders auch die Spezialisten der Bodenbearbeitungstechnik gefragt.


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