Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Der Klimawandel begünstigt die Einwanderung neuer Vorratsschädlinge und die Herausbildung riesiger Käferpopulationen. Der Kampf gegen das große Krabbeln erfordert nach Meinung von Experten höhere Sorgfalt bei der Reinigung des Getreides und hermetisch abgedichtete Lager.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Getreidelager der Velaro GmbH Biokorn KG im sächsischen Oberlosa mit dem weißen und hermetisch abgedichteten Silo.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Modell eines hermetisch verschlossenen Silos mit ebenfalls abdichtbarer Zwangsbelüftung im Büro des Ingenieurbüros Frank Hertel in Leipzig-Engelsdorf.

Landwirt Klaus Münchhoff bewirtschaftet mit seinem Sohn rund 1.000 Hektar. Auf den sehr heterogenen Flächen mit 23 bis 100 Bodenpunkten rund um Derenburg im Harzlandkreis (Sachsen-Anhalt) wachsen Winterweizen, Wintergerste, Durum, Winterraps, Markerbsen und neuerdings auch Sonnenblumen. Das „Gut Derenburg“ gehörte vor gut 15 Jahren zu den ersten Betrieben mit einem DLG-Nachhaltigkeitszertifikat und arbeitet nach dem QS-System, dem Gütesiegel für Lebensmittel. Ein wichtiges Kriterium der Zertifizierung ist die Ressourcenschonung. Neben der teilflächenspezifischen Aussaat und Düngung zählt für Klaus Münchhoff dazu unbedingt die verlustfreie Bergung und Lagerung des Erntegutes. „Hier ist uns schon aus finanzieller Sicht jede Dezitonne wichtig. Wir unternehmen einiges an Vorratsschutz, um gutes, sauberes Getreide abzuliefern“, betont der Landwirt.

Entscheidend sind Technik und motivierte Mitarbeiter

Bis zu 75 % der Getreide- und Rapsernte, insgesamt etwa 4.000 t, lagert der Betrieb in eigenen Hallen ein. „Der Schutz des Erntegutes beginnt bei uns bereits mit der optimalen Einstellung des Mähdreschers, um so wenig Spreu und Stroh wie möglich in die Hallen hinein zu bekommen“, sagt Münchhoff. Die Flachlager, in denen man prinzipiell keine selbstfahrenden Maschinen oder Geräte wie Pflanzenschutzspritzen abstelle, würden vor Saisonstart gründlichst gereinigt, inklusive Einsatz eines Baustaubsaugers, und auf Dichtheit gegen Nager geprüft. Während der Kampagne entscheide der Mähdrescherfahrer anhand der sensorisch erfassten Erntegutdaten, wo genau die Lagerung erfolgt. Feuchteres Getreide, das wegen der Lage des Betriebes im Regenschatten des Harzes allerdings selten vorkomme, werde durch Luftzufuhr getrocknet. Sobald es die Außentemperatur ermöglicht, erfolge zur Minimierung von Käferbefall vornehmlich beim Weizen eine Kühlung auf 8 °C. Messfühler in den Luftkanälen überwachen die relative Luftfeuchtigkeit und die Temperaturentwicklung in den einzelnen Haufen.

Darüber hinaus baue man auf das eigenverantwortliche Handeln der regelmäßig geschulten Mitarbeiter hinsichtlich Vorratsschutz. Das betreffe etwa das Entfernen von Verschmutzungen auf den Ladeflächen der Transporthänger, mit denen das Getreide nach der Übernahme vom Ladewagen am Feldrand auf den Hof gefahren wird, oder das Achten auf saubere Reifen beim Befahren der Lagerhalle. Der Lagerverantwortliche führe täglich Beprobungen des Lagergutes durch, protokolliere deren Ergebnisse als auch die Daten der Messfühler sowie die Betriebsstunden der Gebläse und überwache die Funktionsfähigkeit der Lüftung.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Nach dem Abdichten aller Stoßfugen der Silowandbleche entsprechend dem australischen Verfahren erfolgt ein wärmeabweisender Anstrich des gesamten Behälters.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Ganzflächiges Aufbringen der finalen Schicht auf der Außenhülle des Silos in Oberlosa nach der zweilagigen Abdichtung aller Öffnungen.

Wir müssen beim Vorratsschutz ganz neu denken

Dr. Cornel Adler begrüßt alle Aktivitäten im Sinne einer verlustfreien Lagerung. Forscht er doch am Julius Kühn-Institut (JKI) im Bereich des nicht-chemischen Vorratsschutzes und leitet den Arbeitskreis Vorratsschutz der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft. „Für viele Landwirte sind die Bemühungen um eine verlustfreie Lagerhaltung mit Blick auf die zunehmende Volatilität der Getreidepreise mittlerweile eine Frage der wirtschaftlichen Vernunft und Resilienz. Da hat sich in den vergangenen Jahren doch ein Sinneswandel vollzogen“, weiß der Experte. Doch als Biologe, der in seiner Dissertation die Bekämpfung des Kornkäfers mittels sauerstoffarmer Gase und CO2 untersucht hat, kennt er auch den Haken an der Sache: Die Getreidelagerung steht vor neuen, hierzulande noch nie dagewesenen Herausforderungen.

„Wir müssen beim Vorratsschutz ganz neu denken“, meint Adler und nennt dafür zwei Gründe: Zum einen seien einige chemische Mittel für die Lagerhaltung nicht mehr verfügbar. Das betreffe beispielsweise Dichlorvos, ein Insektizid aus der Gruppe der Phosphorsäureester (2,2-Dichlorvinyldimethylphosphat), allgemein als DDVP abgekürzt. Die europaweit nicht mehr zugelassenen DDVP-Verdunstungsstreifen halfen sehr gut gegen fliegende Insekten. Ebenfalls weggefallen ist der Wirkstoff Pirimiphos-methyl. Unter dem Markennamen Actellic durfte das Insektizid bis April 2018 (Aufbrauchfrist für Restmengen) zur Bekämpfung von Schadinsekten als Spritzmittel in Leerräumen verwendet und dem Getreidestrom bei der Einlagerung zugesetzt werden.

Als Ersatz kamen Mittel wie K-Obiol mit dem in anderen europäischen Ländern bereits seit langem gängigen Wirkstoff Deltamethrin aus der Gruppe der Pyrethroide. Deren Wirkung lässt im Vergleich zu DDVP aber schneller nach. Gegen fliegende Insekten in Lagern ist außerdem Naturpyrethrum als Nebelmittel zugelassen, das allerdings nicht in das Lagergut eindringt.

Betreffen diese Mitteleinschränkungen vornehmlich den konventionellen Landbau, so wirkt die Klimaerwärmung als zweiter Grund für das notwendige Umdenken bei der Getreidelagerung ebenso in ökologisch wirtschaftenden Betrieben. „In den vergangenen Jahren haben wir festgestellt, dass die Populationen der Schadinsekten in Vorratslagern tendenziell zunehmen. Überdies treten Arten aus wärmeren Gegenden, die hierzulande bislang nur vereinzelt in heißen Sommern beobachtet wurden, neuerdings vermehrt auf. Ein Beispiel dafür ist der Getreidekapuziner“, informiert Adler. Von Insekten aber, die nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO 80 Prozent der Schäden in Vorräten verursachen, gehe die mit Abstand größte Gefahr aus. Dabei seien die krabbelnden und fliegenden Schädlinge an sich gar nicht so dramatisch. „Befinden sich die Insekten aber erst mal im Lager, erzeugen sie durch Atmung CO2, Feuchtigkeit und Wärme. Dies ist wiederum der Nährboden für Mykotoxine erzeugende Pilze und Mikroben“, erläutert Adler.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Frank Hertel hat gemeinsam mit einer australischen Spezialfirma erstmals in Deutschland ein bestehendes Hochsilo komplett hermetisch abgedichtet.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Dr. Cornel Adler forscht am Julius-Kühn-Institut im Bereich des nicht-chemischen Vorratsschutzes.

Schadinsekten überwintern neuerdings im Freiland

Und noch etwas beunruhigt den Wissenschaftler: „Wir haben Hinweise, dass einige Arten wie der Kornkäfer oder der Getreideplattkäfer im Freiland überwintern können, etwa in Strohballen oder Bauten von Feldhamstern und Mäusen“. Dies berge die Gefahr, dass Schädlinge bereits mit dem Erntegut ins Lager gelangen und – begünstigt durch die meist angestrebte natürliche Belüftung des Getreides – über die Abgabe von Duftstoffen (Pheromonen) weitere Artgenossen anlocken.

Neben einer guten Reinigung und frühzeitigem Trocknen und Kühlen als Sofortmaßnahmen empfiehlt Adler auf längere Sicht die klimaoptimierte Lagerung in hermetisch abgeschlossenen Behältern, beispielsweise unter der Erde. Das hätte einen doppelten Effekt. Das Lagergut wäre nach außen hin vor Schädlingen aller Art geschützt und im Lagerraum würden die eingeschleppten Käfer durch ihr Atmen nach einiger Zeit eine sauerstofffreie Atmosphäre erzeugen und ersticken. Freistehende Silobehälter sind heute allerdings für eine gute Durchlüftung über das Dach konzipiert, um die Bildung von Kondenswasser im Getreide zu vermeiden. Dass es dennoch möglich ist, Hochsilos hermetisch abzudichten, hat das Ingenieurbüro Frank Hertel Engineering aus Leipzig-Engelsdorf an einem Behälter des Getreidelagers der Velaro GmbH Biokorn KG im sächsischen Oberlosa demonstriert. „Zur Anwendung kam dabei ein in Australien entwickeltes Verfahren, bei dem die Lüftungsschlitze unter der Traufe und alle Fugen an den Überlappungsbereichen der Silowandbleche mit einer extrem witterungsbeständigen Dichtmasse verschlossen werden“, berichtet Frank Hertel. Eine Belüftung des Getreides kann über spezial montierte Einlass- und Auslassstutzen erfolgen, die sich anschließend ebenfalls hermetisch schließen lassen. Das abgedichtete Silo wird gegenwärtig noch mit Sensoren zur Messung der Temperatur, des CO2-Gehalts und der relativen Feuchte ausgestattet. Die von Frank Hertel entwickelte Datenauswertung ermöglicht eine frühzeitige Erkennung biologischer Aktivität und empfiehlt entsprechende Bekämpfungsmaßnahmen. Die Software soll später in die automatische Steuerung des insgesamt 6.000 Tonnen fassenden Getreidelagers integriert werden.

Getreidelagerung: Unter Dach und Fach genügt nicht mehr

Von Kornkäfern befallener Weizen. Insekten verursachen die größten Schäden bei der Getreidelagerung.

Ein Drittel geht verloren

Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO betragen die weltweiten Verluste zwischen Anbau und Verbrauch etwa ein Drittel der potenziellen Ernte. 80 Prozent gehen dabei auf das Konto von Insekten. In unseren Breiten verhindert bislang Winterkälte eine übermäßige Vermehrung von Schadinsekten, dennoch betragen die Verluste im Lager hierzulande etwa 4 Prozent. Weitere 7 bis 8 Prozent gehen während der weiteren Verarbeitung verloren.
WR

Netzwerk Vorratsschutz

Am Projekt Netzwerk Vorratsschutz (VSnet) beteiligen sich drei Landwirtschaftsbetriebe, drei Agrarhändler und eine Mühle. Unabhängig davon, ob sie ökologisch oder konventionell wirtschaften, demonstrieren die in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Bayern angesiedelten Unternehmen die Praktikabilität vorbeugender und nicht chemischer Maßnahmen zur Vermeidung von Nachernteverlusten. Weitere Ziele sind der Wissenstransfer, die Ermittlung des Beratungsbedarfs und der Austausch zwischen Praxis und Forschung. VSnet wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert und durch das Julius-Kühn-Institut fachlich begleitet. Weitere Infos unter www.netzwerk-vorratsschutz.de.
WR

SCHNELL GELESEN

Die Entwicklung der Getreidepreise in den letzten Jahren zeigt, dass sich durch Einlagerung der Ernte und den Verkauf zu einem günstigen Zeitpunkt zum Teil deutlich höhere Preise erzielen lassen, als mit dem sofortigen Verkauf vom Feld weg. Entstehen jedoch Qualitätsverluste durch unsachgemäßes Transportieren und Lagern verpufft der Effekt. Wirksamer Vorratsschutz unter den Bedingungen der Klimaerwärmung beginnt mit der richtigen Einstellung der Mähdrescher, erfordert Sorgfalt bei der Reinigung sowie die Gewährleistung optimaler Lagerbedingungen durch Kühlung und wird in nicht zu ferner Zukunft wohl nur durch eine hermetische Abdichtung der Silobehälter realisierbar sein.


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